Justiz und NS-Verbrechen
Lfd.Nr.673
(Ausschnitt)

B. Die Judenmassnahmen der nationalsozialistischen Regierung

(...)

2. Förderung der Auswanderung der Juden

Die wirtschaftliche und persönliche Knebelung und Entrechtung der Juden weckte in ihnen den Wunsch zur Auswanderung. Zahlreiche Juden verliessen deshalb Deutschland und versuchten, sich in anderen Staaten eine neue Existenz zu gründen. Bis zum 31.10.1941 wanderten 537000 Juden aus dem Deutschen Reich (einschliesslich Österreich und Böhmen und Mähren) aus (Wannseeprotokoll - AA Inl. II g 177, Bl.166 ff., 169 (Originalakten des Auswärtigen Amtes mit der Bezeichnung "Inland II g")).

Die Staatsführung machte sich das Auswanderungsbestreben der Juden zunutze, um auf diesem Wege möglichst viele Juden aus dem Reichsgebiet los zu werden. Schon am 24.1.1939 befahl Göring in seiner Eigenschaft als Beauftragter für den Vierjahresplan die Bildung einer "Reichszentrale für die jüdische Auswanderung" im Reichsministerium des Innern. Sie sollte "alle Massnahmen zur Vorbereitung einer verstärkten Auswanderung der Juden treffen", die Auswanderung lenken, für eine bevorzugte Auswanderung der ärmeren Juden sorgen und die Auswanderung im Einzelfalle beschleunigen. Die Leitung der Reichszentrale übertrug Göring dem Chef der Sicherheitspolizei (a.a.O., Bl.233).

In einer Denkschrift vom 25.1.1939 über "Die Judenfrage als Faktor der Aussenpolitik im Jahre 1938" bezeichnete das AA "Die Notwendigkeit für eine radikale Lösung der Judenfrage" als eine "Konsequenz der aussenpolitischen Entwicklung". Unter der "radikalen Lösung" verstand es dabei die Entfernung aller Juden aus Deutschland durch wirtschaftlichen Druck. Es bezeichnete ausdrücklich als "Das letzte Ziel der deutschen Judenpolitik" "die Auswanderung aller im Reichsgebiet lebenden Juden" (a.a.O.,Bl.234-240).

3. Die Verschleppung der Juden

Dieses "letzte Ziel" erfuhr durch die anfänglichen Siege Deutschlands im zweiten Weltkrieg eine Ausdehnung. Man wollte nun nicht allein die Juden in Deutschland, sondern in ganz Europa zur Auswanderung zwingen. Bereits im August 1940 teilte der Botschafter Abetz nach einem Vortrag bei Hitler dem Leiter der Deutschlandabteilung im AA, Unterstaatssekretär Luther, mit, "dass der Führer beabsichtige, nach dem Kriege sämtliche Juden aus Europa zu evakuieren" (a.a.O., Bl.194).

Schon vorher, nämlich am 3.6.1940, hatte der Angeklagte einen kurzen "Überblick über die neu aufzunehmenden, vordringlichen Aufgaben des Referats D III" angefertigt. Diese Aufzeichnung hat folgenden Wortlaut:

"1. Erbitten einer grundsätzlichen Festlegung des deutschen Kriegsziels in der Judenfrage von Herrn Reichsaussenminister.

Möglichkeiten:

a) Alle Juden aus Europa,

b) Trennung zwischen Ost- und Westjuden; Ostjuden, die den zeugungskräftigeren und talmudsicheren Nachwuchs für die jüdische Intelligenz bilden, bleiben als Faustpfand in deutscher Hand (Lublin?), um die Amerika-Juden lahmzulegen. Westjuden aus Europa (Madagaskar?),

c) jüdisches Nationalheim in Palästina (Gefahr eines 2.Roms!).

2. Aufnahme engerer Besprechungen mit den interessierten innerdeutschen Partei-, Staats- und wissenschaftlichen Stellen. Erfassen und Abstimmen ihrer Pläne auf die Wünsche des Herrn Reichsaussenministers.

3. Sammeln der sachlichen Unterlagen (Anzahl der Juden in den einzelnen Ländern, die für die Evakuierung notwendigen Geld- und Transportmittel und die dafür möglichen Fristen usw.).

4. Für diese Arbeit notwendig: Sofortige Verstärkung des Referats D III um einen geschickten, jüngeren Konsulatssekretär und eine Schreibdame, sowie Zuweisung eines neuen Attachés an Stelle des zum Ref. Partei überwiesenen Attachés Neuwirth" (a.a.O., Bl.229).

In einer Denkschrift vom 3.7.1940 "Die Judenfrage im Friedensvertrage", schrieb der Angeklagte u.a.: "Die wünschenswerte Lösung" sei "alle Juden aus Europa!". In den Mitteln, wie ein solches Ziel zu verwirklichen sei, geht die Denkschrift über die bis dorthin bekannten Massnahmen hinaus. War bisher nur ein wirtschaftlicher und persönlicher Druck auf die Juden beabsichtigt, so spricht der Angeklagte hier ausdrücklich von der "Deportation" der Juden. Juden sollten also jetzt nicht mehr zur Auswanderung gezwungen, sondern sie sollten zwangsweise weggeschafft werden.

Neu ist in dieser Denkschrift auch der Vorschlag, im Friedensvertrag mit Frankreich die Insel Madagaskar "für die Lösung der Judenfrage" zu verlangen. Wie sich der Angeklagte seinen von der Dienststelle des Reichsführers SS, dem Reichsinnenministerium und einigen Parteidienststellen gebilligten Plan vorstellte, zeigen folgende Stellen der Denkschrift:

"Frankreich muss im Friedensvertrage die Insel Madagaskar für die Lösung der Judenfrage zur Verfügung stellen und seine rund 25000 dort ansässigen Franzosen aussiedeln und entschädigen. Die Insel wird Deutschland als Mandat übertragen ...

Der nicht militärisch erforderliche Teil der Insel wird unter die Verwaltung eines deutschen Polizeigouverneurs gestellt, der der Verwaltung des Reichsführers SS untersteht. In diesem Territorium bekommen die Juden im übrigen Selbstverwaltung: Eigene Bürgermeister, eigene Polizei, eigene Post- und Bahnverwaltung usw. Für den Wert der Insel haften die Juden als Gesamtschuldner. Zu diesem Zweck wird ihr bisheriges europäisches Vermögen einer zu gründenden Europäischen Bank zur Verwertung übertragen. Soweit dieses Vermögen zur Bezahlung der Landwerte, die sie in die Hand bekommen, und der zum Aufbau der Insel notwendigen Warenaufkäufe in Europa nicht ausreicht, werden den Juden von der gleichen Bank bankmässige Kredite zur Verfügung gestellt."

Einen Vorteil dieser "territorialen Lösung der Judenfrage" erblickte die Denkschrift auch darin, dass auf diese Art und Weise die Juden

"als Faustpfand in deutscher Hand für ein zukünftiges Wohlverhalten ihrer Rassegenossen in Amerika"

bleiben. Als Aufgabe des AA wurde es bezeichnet, in den Friedensverträgen die Forderung Deutschlands "Alle Juden aus Europa" zu verankern und

"diese Forderung durch Einzelverhandlungen mit den nicht vom Friedensvertrag betroffenen Staaten in Europa durchzusetzen" (a.a.O., Bl.230/231).

Der Gedanke, Madagaskar zur Ansiedlung der europäischen Juden zu verwenden, stammt nicht vom Angeklagten. Unter anderen erwähnte Göring schon am 12.11.1938 bei einer Besprechung im Reichsluftfahrtministerium in Berlin, dass das Madagaskar-Projekt wünschenswert sei.

Der Reichsaussenminister von Ribbentrop stimmte dem Plan zur Aussiedlung der Juden nach Madagaskar zu. Die Vorarbeiten sollten nach seinem Wunsche in engem Einvernehmen mit den Dienststellen des Reichsführers SS vorgenommen werden, die auch nach Meinung des AA allein in der Lage gewesen wären, die Judenevakuierung durchzuführen und die Überwachung der Evakuierten zu gewährleisten. Das RSHA arbeitete hierauf einen Plan für die Evakuierung der Juden nach Madagaskar und die Ansiedlung der Juden auf Madagaskar aus, der die Billigung des Reichsführers SS fand. SS-Gruppenführer Heydrich, der Chef des RSHA, leitete diesen Plan unmittelbar dem Reichsaussenminister (RAM) zu (a.a.O., Bl.197). Auch dem Angeklagten liess das RSHA durch SS-Obersturmführer Theo Dannecker am 15.8.1940 ein Stück des "Madagaskar-Projekts" zugehen (a.a.O., Bl.197). Aus diesem "Projekt" (a.a.O., Bl.199-219) ist zu entnehmen, dass die Zahl der in Madagaskar anzusiedelnden Juden auf 4000000 geschätzt wurde. Schon vorher, nämlich am 12.8.1940, fertigte der Angeklagte eine Aufzeichnung mit dem Titel "Gedanken über die Gründung einer intereuropäischen Bank für die Verwertung des Judenvermögens in Europa" (a.a.O., Bl.228). Darin schlug er die Gründung einer Bank vor, die das jüdische Vermögen in Europa und die Ansiedlungsobjekte auf Madagaskar treuhänderisch verwalten sollte.

Von der geplanten Ansiedlung nach Madagaskar wären nach einem Schreiben des SS-Gruppenführers Heydrich an den RAM vom 24.6.40 rund 3 1/4 Millionen Juden in Deutschland und in den von Deutschland besetzten Gebieten betroffen worden (a.a.O., Bl.192). Dagegen spricht der Angeklagte in einer Vortragsnotiz vom 30.8.1940 von "höchstens 6½ Millionen Juden", die in Madagaskar untergebracht werden sollen. In dieser Notiz führt er ferner aus:

"Nachdem auf Vorschlag der Abteilung Deutschland der Herr Reichsminister entschieden hatte, dass die Lösung der Judenfrage im Friedensvertrag von dem Referat D III in der Abteilung Deutschland im Einvernehmen mit den Dienststellen des Reichsführers SS bearbeitet werden sollte, habe ich den anliegenden Grundriss eines Planes zur Lösung der Judenfrage im Friedensvertrage entworfen. Dieser Plan ergibt als praktische Arbeitseinteilung:

1. Führen der Verhandlungen mit den Feindmächten auf Grund des Friedensvertrages und mit den übrigen europäischen Staaten auf Grund von Sonderverträgen - Auswärtiges Amt.

2. Erfassen der Juden in Europa, Transport nach Madagaskar, ihre Ansiedlung dort und die zukünftige Verwaltung des Insel-Ghettos - Reichssicherheitshauptamt.

3. Erfassung des jüdischen Vermögens in Europa, Gründen einer intereuropäischen Bank, die dieses Vermögen treuhänderisch zu verwalten und zu verwerten, sowie die Finanzierung des Ansiedlungsunternehmens durchzuführen hat - Dienststelle des Vierjahresplanes, Staatsrat Wohltat.

4. Das propagandistische Vorbereiten und Sichern des Planes gegen eine evtl. Hetzwelle aus USA:

a) für den Bereich des Inlands das Propagandaministerium, Oberregierungsrat Dr. Taubert, mit seiner "antisemitischen Aktion",

b) für den Bereich des Auslandes die Informationsabteilung des Auswärtigen Amts.

Gemäss dieses Grundplanes bin ich an die einzelnen Dienststellen herangetreten. Auf meine Anregung hin und in enger Fühlungnahme mit mir ist dann der Madagaskarplan des Reichssicherheitshauptamtes entstanden. ... Um den Plan sachlich weiter zu fördern, ist es jetzt an der Zeit

a) die erwähnten innerdeutschen Dienststellen zu einer Besprechung im Auswärtigen Amt zusammenzurufen und eine vorbereitende Kommission zusammenzustellen,

b) an die Franzosen heranzutreten, damit sie dieser Kommission die Einreise nach Madagaskar gestatten,

c) entsenden der Kommission auf 1-2 Monate nach Madagaskar, um an Ort und Stelle die Einzelfragen der Ansiedlung und deren Vorbereitung festzustellen ..." (a.a.O., Bl.195/196).

Im Jahre 1940, als der Madagaskarplan ernsthaft erwogen wurde, verstand man unter "Endlösung der Judenfrage in Europa" die totale Auswanderung, und zwar auch im zuständigen Referat Eichmann des RSHA (Aussage Wisliceny vor dem IMT in Nürnberg am 3.1.1946 - IMT Prot.Bd.IV S.395).

Noch Anfangs Oktober 1941 arbeitete das Reichssicherheitshauptamt an der Verwirklichung des Madagaskarplanes. Zu diesem Zweck nahm es damals in Lissabon mit Vertretern des "Joint Distribution Committee" Verbindung auf. Sie wurden gebeten, sich bei der englischen Regierung dafür einzusetzen, dass die Transportschiffe, die die auszusiedelnden Juden nach Madagaskar bringen sollten, unbehelligt blieben. Joint lehnte mit der Begründung ab, dass als jüdische Heimstätte nur Palästina in Frage komme. Infolge des Ausbruchs des Krieges gegen die UdSSR (22.6.1941) waren die Aussichten auf einen baldigen Friedensschluss geschwunden. Da noch im Jahre 1941 grosse Landstriche im Osten von den deutschen Truppen besetzt wurden und sich die Verwirklichung des Madagaskarplanes als unmöglich erwiesen hatte, gab man diesen auf und entschied sich dafür, die Juden nunmehr nach dem Osten zu bringen. Hitler hat nach einem Brief des Angeklagten vom 10.2.1942 an den Gesandten Bielefeld [1] selbst diese Änderung befohlen (a.a.O., Bl.182). Schon am 31.7.1941 hatte Göring den SS-Gruppenführer Heydrich beauftragt, unter Beteiligung der in Frage kommenden Zentralinstanzen alle erforderlichen Vorbereitungen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflussgebiet in Europa zu treffen (a.a.O., Bl.189).

Das RSHA begann im Spätsommer 1941 zunächst mit der Verschleppung der Juden in Deutschland nach dem Osten. Dabei ergab sich die Frage, ob auch die Juden mit der Staatsangehörigkeit anderer Länder mitabgeschoben werden sollten. Mit dieser Frage befasste das RSHA das AA. Näheres darüber wird bei den einzelnen Handlungen des Angeklagten gesagt werden.

Über das Schicksal dieser Juden wurden nur ungenaue Angaben gemacht. Vielfach war davon die Rede, dass die Juden als Arbeitskräfte gebraucht würden. Auch sprach man von einer Verbringung in eigens eingerichtete Ghettos in Städten des Ostens, wobei insbesondere Theresienstadt für ältere und nicht mehr arbeitsfähige Juden genannt wurde.

4. Die biologische Vernichtung der Juden

Ende November 1941 lud Heydrich die beteiligten Zentralinstanzen zu einer Besprechung ein, die am 9.12.1941 stattfinden sollte und dann auf den 20.1.1942 verschoben wurde (a.a.O., Bl.188, 165). Über diese "Am Grossen Wannsee" abgehaltene Sitzung, bei der neben allen wichtigen Reichs- und Parteidienststellen auch das AA durch Unterstaatssekretär Luther vertreten war, wurde ein "Besprechungsprotokoll" in 30 Ausfertigungen erstellt (16.Ausfertigung a.a.O., Bl.166 ff.). Nach diesem Protokoll teilte Heydrich eingangs mit, dass er durch Göring zum "Beauftragten für die Vorbereitung der Endlösung der europäischen Judenfrage" bestellt worden sei und dass die "Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage ohne Rücksicht auf geographische Grenzen zentral beim Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei (Chef der Sicherheitspolizei und des SD) liege". Hierauf gab er einen kurzen Überblick über den Erfolg der bisherigen Förderung der Auswanderung und fügte hinzu, dass inzwischen der Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei "im Hinblick auf die Gefahren einer Auswanderung im Kriege und im Hinblick auf die Möglichkeiten des Ostens die Auswanderung von Juden verboten" habe. Anstelle der Auswanderung sei nunmehr als weitere Lösungsmöglichkeit nach entsprechender vorheriger Genehmigung durch den Führer die Evakuierung der Juden nach dem Osten getreten. Wörtlich heisst es dann weiter:

"Diese Aktionen sind jedoch lediglich als Ausweichmöglichkeiten anzusprechen. Doch werden hier bereits jene praktischen Erfahrungen gesammelt, die im Hinblick auf die kommende Endlösung der Judenfrage von wichtiger Bedeutung sind."

Heydrich führte dann noch aus, dass im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage rund 11 Millionen in Betracht kämen. Ferner heisst es im Protokoll:

"Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In grossen Arbeits- kolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden strassenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Grossteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird.

Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaus anzusprechen ist. (Siehe die Erfahrung der Geschichte.)"

Im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung sollte Europa von Westen nach Osten durchkämmt werden unter Vorwegnahme des Reichsgebietes einschliesslich Böhmens und Mährens.

Im Protokoll ist weiter ausgeführt:

"Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, um von dort aus weiter nach dem Osten transportiert zu werden."

Juden im Alter von 65 Jahren sowie schwerkriegsbeschädigte Juden und solche mit Kriegsauszeichnungen sollten nicht "evakuiert", sondern in Altersghettos (vorgesehen war Theresienstadt) überstellt werden.

Hinsichtlich der Beteiligung des AA wurde nach dem Besprechungsprotokoll vorgeschlagen, dass

"bezüglich der Behandlung der Endlösung in den von uns besetzten und beeinflussten europäischen Gebieten die in Betracht kommenden Sachbearbeiter des Auswärtigen Amts sich mit den zuständigen Referenten der Sicherheitspolizei und des SD besprechen".

Das Protokoll schliesst mit dem Satz:

"Mit der Bitte des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD an die Besprechungsteilnehmer, ihm bei der Durchführung der Lösungsarbeiten entsprechende Unterstützung zu gewähren, wurde die Besprechung geschlossen."

Nach dem Protokoll stand am Ende des Weges der verschleppten Juden der Tod. Denn die "entsprechende" Behandlung des den Arbeitseinsatz überdauernden "Restbestandes" konnte nach dem, was bereits Geschichte geworden ist, nichts anderes als die vorsätzliche Tötung bedeuten.

Tatsächlich hatte Hitler schon im Sommer 1941 den Befehl zur völligen Vernichtung des Judentums gegeben (Aussage Höss vor dem IMT in Nürnberg am 15.4.1946 - IMT Prot.Bd.XI S.440, 461). Als Teil dieses Vernichtungsprogramms traten zunächst die Massnahmen der sogenannten "Einsatzgruppen" im Osten in Erscheinung. Diese waren besondere Einheiten der Sicherheitspolizei und des SD, die den Heeresgruppen im Osten zugeteilt waren und ihnen auf dem Fusse folgten. Unter dem Deckmantel der Gewährleistung der Sicherheit im rückwärtigen Heeresgebiet töteten sie auftragsgemäss kommunistische Aktivisten, Juden und Zigeuner und alle übrigen Personen, die die Sicherheit gefährdeten (Aussage Ohlendorf vor dem IMT am 3.1.1946, IMT Prot.Bd.IV S.346, 348, 350; Aussage Ohlendorf vom 9.11.48 in dem Strafverfahren gegen Leibbrandt Georg wegen Mordes - Akten des Landgerichts Nürnberg-Fürth 72 Ks 3/50, Bl.48). In der Zeit von 1941 bis Herbst 1942 töteten die Einsatzgruppen ca. 2 Millionen Menschen, davon mehr als 1 Million Juden. Die Morde beruhten auf einem unmittelbaren Befehl Hitlers (Aussage Ohlendorf, a.a.O., Bl.48).

Den grundsätzlichen Befehl zur Ausrottung der jüdischen Rasse hatte Hitler im Jahre 1941 dem RFSS Heinrich Himmler erteilt und dabei bestimmt, dass die SS diesen Befehl durchzuführen habe. Schriftlich liegt dieser Befehl nicht vor. Himmler beauftragte seinerseits mit der Durchführung dieses Befehls innerhalb des RSHA den SS Sturmbannführer Eichmann, den Leiter des Referats IV B 4 im RSHA. Für seine Aufgaben bekam er alle Vollmachten. Im April 1942 stellte Himmler Eichmann auch einen schriftlichen Befehl darüber aus (Aussage Wisliceny vor dem IMT in Nürnberg am 3.1.1946 - IMT Prot.Bd.IV S.397).

Schon im Juni 1941 bekam der Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz, Rudolf Höss, von Himmler persönlich den Befehl, im Lager Auschwitz Vernichtungsanlagen zu errichten. Nach Besichtigung des Lagers Treblinka, wo ein Einsatzkommando der Sicherheitspolizei und des SD innerhalb eines halben Jahres mit Monoxydgas 80000 Juden getötet hatte, begann Höss alsbald mit dem Bau riesiger Gaskammern und Verbrennungsöfen in dem vom Hauptlager Auschwitz 2 km entfernten Nebenlager Birkenau (Aussage Höss Rudolf vor dem IMT in Nürnberg am 15.4.1946, IMT Prot.Bd.XI S.457-461).

Noch im Spätsommer oder Herbst 1941 setzten dann die Tötungen durch Vergasung ein. Sie wurden mit der Erweiterung der Vernichtungsanlagen ab Frühsommer oder Frühherbst 1942 verstärkt und dauerten bis zum Herbst 1944 an. Nach der Schätzung des Zeugen Höss wurden in der genannten Zeit in Auschwitz mindestens 2500000 Menschen durch Vergasung und Verbrennung getötet. In derselben Zeit starb mindestens eine weitere halbe Million durch Hunger und Krankheit in dem angegliederten Arbeitslager. Diese Zahlen machen ungefähr 70-80% aller Personen aus, die als Gefangene nach Auschwitz geschickt worden waren. Der Rest wurde in die Arbeitslager verteilt und unter den härtesten Bedingungen zur Arbeit verwendet (Höss, a.a.O., S.458).

Wieviel Juden insgesamt nach dem Osten verschleppt worden sind, lässt sich nicht mehr feststellen. Ebensowenig kann noch genau geklärt werden, wieviele von den verschleppten Juden in Auschwitz in den Gaskammern getötet oder schon auf dem Transport oder in den verschiedenen Arbeitslagern ums Leben kamen.

Aus der Tatsache, dass Hitler den Vernichtungsbefehl schon im Frühsommer 1941 (nämlich vor der Besprechung Himmler-Höss im Juni 1941) gegeben hatte, ergibt sich, dass die Verschleppungen nach dem Osten nicht die Ansiedlung der Juden in einem geschlossenen Territorium im Osten anstelle Madagaskars zum Ziele hatten, sondern dass sie zum Zwecke der Tötung erfolgten.

Andererseits wurde den Kommandanten der Konzentrationslager am 30.4.1942 vom Leiter des Wirtschaftsverwaltungshauptamts (WVHA) der SS, SS-Gruppenführer Oswald Pohl, befohlen, "alle Häftlingsarbeitskräfte für die Kriegswirtschaft zu mobilisieren". Es wurde gefordert, die Konzentrationslager aus ihrer früheren politischen Form in eine den Wirtschaftsaufgaben entsprechende Organisation zu überführen. Diese Funktion der KZ-Lager, Potential für Arbeitskräfte zu sein, wurde im Laufe des Krieges vom WVHA der SS erkennbar in den Vordergrund gerückt.

Neben den deshalb geschaffenen riesigen Arbeitslagern gab es jedoch auch reine Vernichtungslager. Andere Konzentrationslager - wie z.B. Auschwitz - waren wiederum sowohl Arbeits- wie auch Vernichtungslager.


Fussnoten:

[1.] Richtig: Bielfeld


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